Red Dead Redemption 2
Story:
Lange habe ich kein Spiel mehr gespielt, das sich so viel Zeit für Inszenierung, Charaktereinführung und Aufbau einer authentischen Atmosphäre nimmt, wie es Red Dead Redemption 2 tut. Die Story reiÃt nicht zuletzt dank der glaubwürdigen Charaktere mit. Wer direkt zu Beginn Feuergefechte wie etwa bei Mass Effect erwartet, muss jedoch etwas Geduld mitbringen. Lange Kamerafahrten durch verschneite Schneelandschaften, atmosphärisch dichte, westerntypische Ausritte auf edlen Rössern auf der Suche nach etwas Essbarem erschienen mir am Anfang wenig verlockend, erklärten aber gut die vielen Spielmechaniken. Auch in dieser Hinsicht nimmt sich das Spiel viel Zeit.
Wahnsinnige Detailliebe
Nun aber genug zur Story. Denn, auch wenn diese grandios geschrieben und inszeniert ist, macht sie doch nur einen kleinen Teil der Faszination Red Dead Redemption 2 aus. Was mir wirklich imponierte und mich bis zur letzten Sekunde meines Tests immer wieder mit offenen Mund vor dem Bildschirm sitzen lieÃ, ist der Umfang und die Detailverliebtheit, die die Entwickler hier an den Tag legten. Natürlich ist es bei einer Entwicklungszeit von mehr als acht Jahren und geschätzten Entwicklungskosten von 600 Millionen US-Dollar einfacher, so etwas zu machen, dennoch ist es alles andere als eine Selbstverständlichkeit, was hier gezaubert wurde.
In puncto Details bieten sich dank moderner Grafikkarten und Rezeptoren - mit mehr Kernen als mein Rechner früher Hauptspeicher besaà - neue Möglichkeiten. Wer potente Hardware besitzt, kann in 4K und mit 120 Frames pro Sekunde spielen. Auf der Konsole waren es nur 30! Wessen Rechner nicht mit Grafikchips der neuen Generation aufwarten kann, muss jedoch nicht zwingend verzichten. Dank zahlreicher Grafikoptionen von abschaltbaren Reflexionen und Schatten, bis hin zu reduzierter Sichtweite und weniger Details, lässt sich viel ausprobieren, um eine gute Framerate zu erreichen. Tatsächlich hatte ich auf meinem Testsystem abgesehen von längeren Ladezeiten auch auf mittlerer Detailstufe keinerlei Perfomanceprobleme. Wenn ich schon über technische Probleme schreibe, möchte ich lobend erwähnen, dass es von Tag 1 an keinerlei technische Aussetzer beim Spielen gab. Mir ist bewusst, dass das nicht zum Meinungsbild in den Weiten des Netzes passt, aber so ist es gewesen. 150 GB sind natürlich nicht ohne, aber dafür machen die Texturen natürlich einiges mehr her als auf der Konsole. Der Grafikkartentreiber sollte auf dem aktuellen Stand sein und dann kann man direkt in den Wilden Westen starten.
Neben der 40-50-stündigen Storymission mit all ihren fantastisch eingesprochenen englischen Dialogen, bietet Red Dead Redemption 2 noch etliche Nebenmissionen, die noch einmal mindestens dieselbe Zeit in Anspruch nehmen. Das Faszinierende dabei ist aber nicht nur der Umfang des Ganzen, sondern die Qualität, die auch hier erzielt wurde.
Ein gutes Beispiel für das Herzblut, mit dem hier gearbeitet wurde, sind meiner Meinung nach die Missionen fremder Personen bzw. zufälliger Bekanntschaften. Anders als in anderen Spielen dienen diese nicht nur dazu, die Spielzeit künstlich zu verlängern, sondern wirken alle homogen und erzählen obendrein alle eine eigene Geschichte. So kann man zum Beispiel auf eine junge Frau treffen, die unter ihrem zusammengebrochenen Pferd eingeklemmt ist. Wer möchte, kann jetzt entweder weiter reiten und die Frau ihrem Schicksal überlassen oder, ganz gentlemanlike, hilfreich zur Hand gehen. Wenn man sie anschlieÃend auch noch in die Stadt bringt, erfährt man ihre traurige Geschichte, die es schwer macht, den Silberring, den sie zum Dank anbietet, anzunehmen. Eine weitere zufällige, aber fesselnde Bekanntschaft ist ein obdachloser Kriegsversehrter, der niemanden mehr hat und einfach einen Freund sucht. Wenn er anschlieÃend nach einer Umarmung fragt, kann das schon mal die Tränen in die Augen schieÃen lassen.
Doch selbst scheinbar banale Nebenmissionen wie ein SchieÃwettbewerb wurden hier in eine nette kleine Story eingebettet. Denn statt einer einfachen Aufforderung zum Wettbewerb erfährt man, dass unser Konkurrent extra aus Mexiko angereist ist, um nur ein Mal gegen einen echten Revolverhelden anzutreten. Das ist zwar nicht so herzzerreiÃend wie viele andere kleine Geschichten, zeigt aber eindrucksvoll, wie viel Mühe sich Rockstar Games selbst bei so kleinen Dingen gegeben hat.
Die Vielfalt der Beschäftigungen, denen man nachgehen kann, macht den Reiz des auf Open World angelegten Titels aus. Denn auch wenn die Hauptstory toll ist, so machen es bereits relativ früh die zahlreichen kleinen und groÃen Nebenherausforderungen zu einer Willensprobe dem roten Faden zu folgen. Zu verlockend erscheint es etwa, einem traurigen Schriftsteller bei seiner Fertigstellung eines epischen Buches über Revolverhelden zu helfen, indem man ein paar verwegene Gesellen aufsucht.
Hilfsbereitschaft zahlt sich aus
Die vielen Nebenmissionen machen nicht nur eine Menge SpaÃ, sondern haben auch eine direkte Auswirkung auf unseren Charakter. Je nachdem, wie wir auf Fremde oder auch Personen aus unserer Bande reagieren, ob wir ihnen helfen oder sie links liegen lasen, ihnen gut gesinnt oder aggressiv gegenübertreten, verändert sich unsere Ehre, die im Prinzip nichts anderes als ein Gut-oder-Böse-Indikator ist.
Doch wie bei so vielem setzt Red Dead Redemption 2 auch hier neue MaÃstäbe. Denn anders als in vielen anderen Spielen, haben unsere Taten hier wirklich spürbare Auswirkungen. Sind wir immer nett und hilfsbereit, grüÃen uns die Leute. Sind wir hingegen eigensinnig und rauben oder morden vor uns hin, sind die Leute aggressiv und bedrohen uns auch schnell mit Waffengewalt. Auch auf bestimmte Missionen hat unser Ruhm zumindest zu einem gewissen Prozentsatz Auswirkungen und teilweise erinnern sich bereits getroffene Personen an uns und bieten uns zum Beispiel an, auf ihre Kosten eine Waffe zu kaufen.
Ganz besonders wichtig ist eine gute Beziehung zu den anderen Bandenmitgliedern. Aus diesem Grund sollte man ihre Wünsche auf jeden Fall erfüllen, sie immer mal wieder nett grüÃen oder auch ungefragt Aufgaben übernehmen. Dazu gehört etwa das Hacken von Holz, das Auftreiben neuer Nahrung für den Lagerkoch oder das Spenden kleinerer Beträge in die Lagerkasse. Mit dem Geld macht man nicht nur die anderen glücklich, sondern kann es auch für Lager-Upgrades ausgeben. Die Upgrades gelten dann übrigens für sämtliche aufgeschlagene Lager. Während der Story wandert die gesamte Truppe nämlich umher, weshalb der Standort des Lagers des Ãfteren wechselt.
Auf die Gefahr hin mich zu wiederholen: All das wurde für den PC, was die Optik angeht, noch ein wenig verbessert (und dabei komme ich noch nicht einmal in den Genuss der maximalen Detailstufe). Neue Texturen für Felle und Gras beispielsweise sorgen für noch mehr Details. Spielerisch finde ich den Kniff mit dem Adlerauge als âJägermodusâ sehr gut gelungen. Man sucht die schwach schimmernden Fährten der Tiere und pirscht sich an seine Beute heran. Das braucht mitunter etwas Geduld. Ein wenig übersinnlich geht es im Wilden Westen nicht nur bei der Jagd zu. Mit etwas Glück findet man sogar magische Amulette. In der PC-Version sind wie auch in anderen Inventarkategorien noch einige weitere dazugekommen. Unter anderem werden den Möchtegernrevolverhelden auch zusätzliche Pferderassen, Schatzkarten und Waffen angeboten (Repetiergewehr und Revolver).
Mehr als genug zu tun
Die Nebenmissionen, Jagen und Angeln bilden nur die Spitze des Eisberges. Mit fortlaufender Spielzeit erkennt man immer mehr Möglichkeiten, die das Spiel bietet, sei es das Auffinden von Sammelbildern, extrem coole Schatzsuchen, das Pflücken verschiedenster Pflanzen, das Spielen kompletter Pokerrunden, Domino, das Anschauen vollständiger Shows etc. pp.
Käufer der Special Edition erwartet sogar noch mehr. Sie erhalten nämlich als exklusive Inhalte ein besonders schnelles, schwarz geschecktes englisches Vollblut samt exklusivem Sattel âNuevo Paraisoâ, den Adlerkrallen-Talisman und das Leguanschuppen-Amulett, die dafür sorgen, dass Arthurs Bewusstsein für die Umwelt länger geschärft ist bzw. dass sein Pferd weniger Schaden erleidet, unterschiedlichste Boosts, Geldboni und Rabatte, das exklusive Outfit âNuevo-Paraiso-Revolverheldâ, das aus einem schwarzen Cowboyhut mit breiter Krempe, langem indigoblauen Mantel, abgenutzten Jeans-Chaps, Lederhandschuhen und -stiefeln besteht, Zugang zu drei kostenlosen Waffen, darunter eine sehr durchschlagskräftige Pump-Action-Schrotflinte, ein zusätzliches Bandenversteck der Del-Lobos-Gang sowie eine sehr coole Bankraub-Mission, in der Arthur und einige weitere Bandenmitglieder einen Plan schmieden, um in der im Süden gelegenen Stadt Rhodes in eine Bank einzubrechen und sie auszurauben.
Wie man sieht, gibt es also genug zu tun und in der Tat könnte ich die Liste an Möglichkeiten, die Red Dead Redemption 2 bietet, noch um einiges fortführen. Ich möchte den Platz aber lieber dazu nutzen, um weitere tolle Features des Spiels hervorzuheben.
Das reicht uns noch nicht! Weil es bei GTA so gut funktioniert hat, setzt man im Hause Rockstar Games auf Langzeitmotivation und wird auch im kommenden Kalenderjahr kräftig weiter an der Wildwest-Simulation feilen. Geplant sind Funktionen wie etwa Housing.
Entschleunigte Spielwelt
Eines dieser Features ist zweifelsohne die Spielwelt. Die bietet nicht nur viele Missionen und Aktivitäten, sondern sieht auch noch fantastisch aus. Während das amerikanisch-mexikanische Grenzgebiet aus dem ersten Teil vor allem aus Staub und karg bewachsenen Steppengebieten bestand, bietet Red Dead Redemption 2 diesmal einen Querschnitt des Wilden Westens. In der gröÃten Spielwelt, die ein Rockstar Games-Spiel bisher hatte, gibt es verschneite Berge, dichte und dunkle Wälder, riesige Tabak- und Baumwollplantagen, weitläufige Grasebenen, Täler mit Wasserfällen und Flüssen, malerische Seen und noch vieles mehr. Zwischendrin gibt es zudem immer wieder Oasen der Zivilisation, wie das typische Westernörtchen Valentine, Annesburg mit seinen zahlreichen Minenarbeitern, die seit mehr als einem Jahrhundert die Gebiete entlang des Lannahechee River mit Kohle versorgen, die Holzfällersiedlung Strawberry oder die quirlige Stadt Saint Denis, ein Schmelztiegel der Kulturen und Völker, in dem Geschäftsleute, die feine Gesellschaft, Seeleute, Arbeiter, Bettler und Diebe Seite an Seite leben und mit der StraÃenbahn zu ihren Zielorten fahren. Aber auch zwischen den Städten blüht hier und da das Leben in Form von Farmen, Hütten, groÃen Villen usw.
Die Leute, die man hier und auf den StraÃen dazwischen antrifft, kann man allesamt ansprechen, was für eine lebendige Spielwelt sorgt. Doch selbst wenn mal niemand in der Nähe ist, weià das Spiel seine Geschichten zu erzählen. Wie kein anderes Open World-Spiel zuvor verfügt Red Dead Redemption 2 nämlich über ein environmental storytelling, das vor allem dadurch so gut funktioniert, dass man nahezu alle Objekte, die man in Häusern findet, hochheben und anschauen kann. So bekommt man Bilder oder auch Briefe zu sehen, die erzählen, was an diesem Ort geschehen ist.
Hochheben darf man übrigens auch in den Geschäften alles. Zwar funktioniert die Steuerung hier ein wenig hakelig, dennoch ist es ein besonderes Gefühl, durch den Gemischtwarenladen zu laufen und die Waren tatsächlich betrachten zu können. Wem das zu langwierig ist, kann aber auch jederzeit im übersichtlich gestalteten Katalog einkaufen.
Diese Entschleunigung nutzt Red Dead Redemption 2 auch sonst ganz bewusst als Stilmittel. Denn nicht nur beim Anschauen der unterschiedlichen Objekte muss man Geduld aufbringen. Bereits der Prolog nimmt rund zwei Stunden in Anspruch und stellt in dieser Zeit in aller Ruhe die wichtigsten Charaktere vor. Auch danach geht es immer wieder recht gemächlich zu. Nicht nur, dass man etwas länger zu Missionen reiten muss, alltägliche Tätigkeiten wie das Kochen unserer Nahrung geschehen ebenfalls nicht in Handumdrehen, sondern benötigen ihre Zeit. Auch wenn wir erlegte Tiere auf unser Pferd laden, passiert das nicht, wie in anderen Spielen, automatisch, sondern wirklich Schritt für Schritt. Ich finde diesen Stil hervorragend, weil man ganz und gar in die Welt und in die Figur des Arthur Morgan hineintauchen kann.
Die Shopping-Ausflüge in die diversen Geschäfte finde ich gerade zu Beginn unglaublich einladend, um die Detailtiefe zu erkunden. Die Steuerung via Controller funktioniert so tadellos, dass ich per Knopfdruck die Kameraperspektive auf Egoperspektive umschalten und dann in aller Seelenruhe die Regale erkunden und mir jedes Tabakdöschen aus der Nähe anschauen kann. Mich persönlich hat das erzwungen langsame Erzähltempo jedoch hin und wieder schon ein wenig ungeduldig gemacht. Der erreichte Detailgrad jedoch bleibt aktuell unerreicht. Als Arthur etwa das erste selbst erlegte Reh zerlegt und häutet, war ich einfach baff. Diese Szenen haben keine andere Funktion als die Erzeugung einer dichten, immersiven Atmosphäre und das funktioniert.
Die beeindruckende Datenmenge von 150 GB soll zum einen an den höher aufgelösten Texturen aber eben auch an den unkomprimierten Audiodaten der Sprachausgabe liegen. Der direkte Vergleich fehlt mir zwar, doch die (nach wie vor nur englischsprachigen) Synchronsprecher sind über jeden Zweifel erhaben und klingen kristallklar in all ihren Dialekten. Wer die beindruckende Grafik genieÃen möchte, kann sogar auf eine eigene Kamera, die Kinokamera, zurückgreifen. Die Pferde reiten dann mit gehaltener Taste weiter, während die Kamera wie in einem Italowestern aus meiner Kindheit immer wieder schöne Blickwinkel findet. Toll inszeniert! Schade nur, dass man bei klarem Ziel nicht den Finger vom Button nehmen und gänzlich auf Autopilot schalten kann.
Fazit von David Weigel:
Auch wenn Red Dead Redemption II für mich kein perfekter Titel ist, was vielleicht eher an persönlichen Vorlieben als an objektiven Mängeln liegen mag, so ist es technisch und spielerisch auf jeden Fall ganz vorne mit dabei. Die Detailtiefe gerade bei der Simulation der Natur sucht ihresgleichen. Seit ich mit Geralt nach Ciri gesucht habe, hat mich keine offene Spielwelt mehr so beeindruckt. Für die laaaangen Ritte mit den Pferden wünschte ich mir einen âAutopilotâ und den Prolog hätte ich gerne ein wenig gerafft, doch das ist Jammern auf sehr, sehr hohem und vor allem subjektivem Niveau.