Stygian: Reign of the Old Ones

Stygian: Reign of the Old Ones

Stygian: Reign of the Old Ones

Story:

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Horrorautor H. P. Lovecraft, der mittlerweile glücklicherweise auch hierzulande ein Begriff ist, hat zur Genüge darüber berichtet, was für unbeschreibliche Gräuel sich um die vorletzte Jahrhundertwende in New England in den USA zutrugen. Man muss also generell kein Mitleid mit Menschen haben, die freiwillig ausgerechnet nach Arkham in Massachusetts ziehen oder dort bleiben. Niemanden sollte es verwundern, wenn die Stadt aus unserer Wirklichkeit entrückt wird. Und doch sind die Bewohner völlig von den Socken, als genau dies eines Tages passiert, und sie sich in einer trostlosen Höllendimension wiederfinden. In Stygian: Reign of the Old Ones, einer Mischung aus Point & Click und RPG, versucht der Hauptcharakter, sich irgendwie in dieser neuen Umgebung zurecht zu finden und die Mysterien der schauerlichen Welt zu ergründen, ohne dabei von Ghoulen gefressen zu werden oder schlicht das letzte Fünkchen Verstand zu verlieren.



Meinung:


Wie es sich für ein RPG gehört, erstellen wir uns zuerst einen Charakter. Dabei können wir aus 8 Archetypen wählen, die jeweils 4 Subtypen haben, und Skill-Punkte verteilen. Unsere Entscheidungen hier sind nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Ein schlecht geskillter Charakter wird später massive Schwierigkeiten haben, weswegen man alternativ auch einen vorgefertigten Charakter wählen kann.

Niedrige Grundstückpreise
Nach der Charaktererstellung finden wir uns im verfallenen Arkham wieder und sind so ziellos wie die meisten anderen Bewohner der Stadt. Nahrungsmittel sind mehr als knapp, nur Alkohol der alleruntersten Qualität gibt es im Überfluss, Drogenmissbrauch ist alltäglich. Bezahlt wird mit Zigaretten, denn Geldscheine haben allenfalls noch als Toilettenpapier einen Wert. Die Mafia beherrscht und tyrannisiert die Stadt, Kultisten suchen ständig nach Opfern, um sich unbekannte Götter wohlgesonnen zu machen, magiebegabte Bewohner versuchen, durch magische Rituale, ihrem Schicksal zu entkommen. In den dunklen Winkeln lauern zu allem Überfluss verschiedentliche Horrorwesen, denen man lieber aus dem Weg geht. Und über allem hängt die vage Ahnung heraufziehenden Unheils, das sich dem menschlichen Verstand entzieht.

Pittoreske Umgebung
Wir machen uns also auf, die Umgebung zu erkunden, in der verzweifelten Hoffnung, vielleicht herauszufinden, was mit Arkham geschehen ist. Unser einziger Anhaltspunkt ist ein mysteriöser Mann, der uns in Träumen erscheint. In Point & Click-Manier suchen wir die Umgebung nach Indizien ab. Wir sammeln Materialien, Zigaretten und, wenn wir Glück haben, Essen. Die Hunger-Mechanik ist übrigens überraschend nachsichtig, wenn auch eine Hunger-Anzeige fehlt. Über das Kreismenü (Rechtsklick) manipulieren wir Gegenstände, so wir die nötigen Fähigkeiten haben.

Nette Nachbarn
In Unterhaltungen mit den Bewohnern der Stadt, die sich mehr oder weniger mit der Situation abgefunden haben und nur versuchen, bis zum nächsten Morgen zu überleben, erfahren wir mehr über die Zustände in Arkham und sammeln Hinweise für unsere Ermittlungen. Dabei müssen wir uns geschickt anstellen, denn bei allen liegen die Nerven blank und nicht jeder findet es besonders lustig, blöde Fragen beantworten zu müssen. Erfreulicherweise erklärt sich aber auch die eine oder andere kuriose Gestalt bereit, uns zu begleiten und zu unterstützen. Wer Lovecraft gelesen hat, wird übrigens immer wieder bekannte Namen erkennen und mit Anspielungen belohnt - Vorwissen über Lovecrafts Werke, den sogenannten Cthulhu-Mythos, ist aber nicht nötig.

Möglichkeit zur sportlichen Betätigung gleich um die Ecke
Wenn wir uns in dunkle Ecken wagen, müssen wir damit rechnen, kämpfen zu müssen. Gleich vorweg: Diese Kämpfe haben es in sich und den Helden zu spielen, ist in Arkham völlig unangebracht. Es ist keine Schande, aus einem Kampf zu fliehen - wenn man eine gewisse Zeit durchgehalten hat, erhält man sogar dieselbe Menge Erfahrung, die man bei einem Sieg erhalten hätte. Das Kampfsystem ist rundenbasiert und ist flott durchschaut. Jeder Charakter hat eine bestimmte Anzahl an Aktionspunkten, die bei Bewegung über den Kampfplatz, bei Benutzung von Items und beim Angreifen verbraucht werden. Für Letzteres stehen den Charakteren je nach Begabung verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung. Schusswaffen sind sehr effektiv, aber Munition ist äußerst rar. Schlagwaffen aller Art sind einfach einzusetzen, setzen aber voraus, dass man direkt vor dem Ziel steht. Magiebegabte Charaktere können kampfentscheidend sein, aber weil geistige Gesundheit hier als Mana fungiert, sind sie ständig in Gefahr, den Verstand zu verlieren.

Bekannt für Gastlichkeit
Haben wir einen Kampf mit Müh' und Not überstanden, hat man als erfahrener RPG-Spieler das dringende Bedürfnis, das nächste Hotel aufzusuchen, um die angeschlagene Party zu heilen. Bei Stygian sind wir da falsch gewickelt. Es gibt zwar die Möglichkeit, ein schäbiges Dachzimmer für 40 Zigaretten pro Nacht zu mieten, aber das Spiel ist wahnsinnig geizig und einfach nur eine Nacht auf der Matratze zu verbringen verschafft uns nicht annähernd die gewünschte Erholung. Durch geschickte Nutzung von Talenten und Begabungen kann man körperliche und geistige Gesundheit zusätzlich auffüllen. Bestimmte harte Drogen wie Laudanum oder Opium können wir ebenfalls nutzen, gehen dabei aber das Risiko ein, abhängig zu werden. Das gute Gefühl einer vollen Health Bar verweigert Stygian uns normalerweise. Ganz genretypisch fühlen wir uns nie wirklich sicher, sondern stehen quasi immer am Rande des Verderbens.

Rustikaler Charakter
Stygian
ist alles andere als einfach. Kaum ein Fehler wird verziehen, niemand ist uns wirklich wohlgesonnen, manchmal ist das Leben in Arkham schlicht unfair und der Wahnsinn lauert an jeder Ecke auf unsere geistige Gesundheit. Zum Glück speichert das Spiel alle naselang automatisch, sodass man schlimmsten Falls ein paar Minuten Spielzeit verliert. Im Laufe des Spiels müssen wir allerdings auch lernen, mit Konsequenzen zu leben. Wer sich zu oft mit Laudanum aufpäppelt, wird abhängig. Wer der eigenen Psyche zu viele Grausamkeiten zumutet, wird mit Geisteskrankheit wie Schizophrenie bestraft. Weder Abhängigkeit noch Geisteskrankheit bedeuten Game Over, sie machen uns das Leben jedoch noch eine Runde schwerer.

Fazit:
Trotz des hohen Schwierigkeitsgrades ist Stygian fesselnd. Arkham und Umgebung sind voll von Mysterien und Quests und nie kann man sicher sein, ob man der netten Witwe wirklich helfen will oder ob man lieber die eigene Haut und den eigenen Verstand schützen möchte. Aufgrund des Lovecraft'schen Settings darf man wohl davon ausgehen, dass es unmöglich ist, ein wirklich "gutes" Ende zu erreichen, egal mit welcher Skillung und egal wie geschickt man sich bei Ermittlungen und Kampf anstellt. Wer mit heiler Haut davon kommt, darf sich vermutlich glücklich schätzen.

Lovecrafts Geschichten in visuellen Medien umzusetzen ist bekanntermaßen schwer bis unmöglich. Zu verlockend ist es, auf billige Gore-Effekte und Jump-Scares zu setzen, obwohl der Reiz der Vorlagen gerade auf dem Unfassbaren, Unbegreiflichen und Unbeschreiblichen beruht. Heldenfiguren sind antithetisch zu Lovecraft, dessen Werk das Gefühl der völligen Bedeutungslosigkeit im Kosmos ausdrückt. Stygian hat sich gegen die simplen Lösungen entschieden. Es hält uns immer gerade so am Leben und bei Verstand, dass wir uns verzweifelt an jede Hoffnung klammern, und schafft es doch hervorragend, die Sinnlosigkeit jeder Anstrengung gegen jene kosmischen Kräfte darzustellen. So muss Lovecraft sein.