Nach ordentlicher Ballerei auf dem U-Boot, die gewohnt herausfordernd ist, trifft man Frau Engel, die aktuell wohl interessanteste Schurkin der Videospielgeschichte. Wobei Schurkin falsch ist. Interessant noch mehr. Das Spiel ist ab 18 Jahren, daher darf ich hier nun wohl auch sagen, dass diese Frau die fieseste Bitch überhaupt ist. Hier werden sofort Emotionen erzeugt, weil diese diabolische Frau so gut in Szene gesetzt wird. Dagegen ist Darth Vader aus einem Groschenroman entsprungen. Nach diesem Einstieg sitzt man fest im Sattel der Dramaturgie. Man will in dieser abartigen Welt aufräumen und Arschtritte verteilen.
Exzellente Charaktere
Aber nicht nur Frau Engel ist hervorragend inszeniert! Eigentlich trifft dies ausnahmslos auf alle Charaktere zu, die man trifft. Wolfenstein 2 platziert sich hier neben Serien wie Uncharted oder Mass Effect. Jeder Charakter hat seine kleine, nie lieblos geschriebene Geschichte zu erzählen. In den ruhigen Momenten zwischen den Missionen ist das U-Boot eine Heimat von lebhaften Charakteren. Man sollte stehen bleiben und dem Schauspiel zusehen, es lohnt sich! Trauriges gibt sich mit komischen Szenen die Hand.
Höhepunkt des Dramas ist ein Level ähnlich wie dem aus Uncharted 2 in den tibetischen Bergen. Das Tempo wird komplett herausgenommen und dieser große Hüne William „B.J.“ Blazkowicz erscheint in einem Splatter-Game plötzlich so zerbrechlich wie sentimental und das völlig glaubhaft. Wolfenstein 2 glänzt hier mit erzählerischen Attributen, die dem Shooter-Genre sonst eher fehlen. Beeindruckend!
Die skurrilste Szene aller Zeiten?
Es sind aber nicht nur die gut geschriebenen Charaktere die Wolfenstein 2 zu einem besonderen Shooter machen, sondern der absolut durchgedrehte Wahnsinn! Ich kann hier jetzt keine Beispiele geben, weil die Szenen so frisch wie möglich von euch erlebt werden sollten. Aber bei dem, was ihr in Wolfenstein 2 erlebt, würde es mich überraschen, wenn ihr in den letzten Jahren auch nur im Ansatz ähnliches gesehen hättet. Und glaubt mir, es toppt in seiner grotesken, lustigen wie brutalen und auch denkwürdigen Art, ganz locker die Teile davor. Mein persönlicher Höhepunkt des Spiels schafft es sogar, alles gleichzeitig zu bieten – der schiere positive Wahnsinn!
Spielerisch? Über jeden Zweifel erhaben!
Dass man bei einem Shooter nach über 500 Wörter das erste Mal etwas über das Gameplay verliert, ist mir vorher auch noch nicht passiert. Wolfenstein 2 spielt sich wie Wolfenstein, nur noch polierter! Es ist bisweilen so schnell und brachial wie Doom, so butterweich wie Destiny und wer mag, durch den Stealth-Ansatz fast wie ein Deus Ex light. Im besten Fall kombiniert man alles und erlebt ein rasantes Action-Fest!
Die Abschnitte ermöglichen oft mehrere Wege zum Ziel. Wer Kommandanten ungesehen ausschaltet, der verhindert gefährlichen Nachschub an Soldaten. Das ist oft kniffliger, als es sich anhört und wer lieber schleicht, der kommt hier auf seine Kosten. Dazu passend sind Waffenupgrades wie Schalldämpfer oder Gadgets wie ein Brustgurt, der einen so zusammenpresst, dass man selbst durch kleinste Ritzen huschen kann.
Aber nicht nur das lautlose Vorgehen, nein, jeder Spielstil und jede Waffengattung kann geskillt werden. Je häufiger man dabei gewisse Dinge macht, um so besser wird man darin. Im Endeffekt sorgt dies für ordentlich Motivation! Man will ja schließlich alles freischalten. So tötet man Zombies mit Äxten, mit Feuer, mit schweren Waffen, im Nahkampf, mit Granaten… soll ich weitermachen?
Der größte Patzer
Bei all der Heiterkeit, die Wolfenstein 2 zum Teil versprüht, ist es in seinem thematischen Kern alles andere als lustig. Der Shooter ist wohl ein absolut antifaschistisches Spiel. Wir haben es hier nicht mit lustigen Nazis zu tun, sondern mit erschreckenden Faschisten. Es gibt hier einen Hitler genauso wie eine perfide Frau Engel. Die Mutter von William „B.J.“ Blazkowicz ist Jüdin und in einem Konzentrationslager und Manhatten wurde unter einer Atombombe völlig begraben. Manch Kameraeinstellung, mit den imperialistischen Gebäuden, zeugt von einer dunklen Wucht. Es gibt nur ein Problem: die deutsche Version!
Dass Hakenkreuze ausgetauscht wurden, ist zwingend nötig gewesen, das verlangt die deutsche Rechtssprechung so. Dass Bethesda aber auch an andere Stelle gekürzt bzw. Veränderungen vorgenommen hat und Wolfenstein 2 dem korrekten historischen Kontext entzieht, ist nicht wirklich zu verzeihen. Es gibt keinen Hitlergruß, es gibt auch keinen Hitler sondern einen Herrn Heiler. Die Mutter von William „B.J.“ Blazkowicz ist auch keine Jüdin mehr, sondern Polin. Ein Konzentrationslager gibt es auch nicht mehr. Selbst der Hitler-Bart wurde entfernt. Dass ausgerechnet für Deutschland die korrekte Geschichte verfälscht, ja weichgespühlt wird, verwundert und ist nicht zu akzeptieren.