Leseprobe:
»Ja, Frau Thorborg, ganz unten!«
Projekt Hintern-Check startet, das wird ganz groÃ! Ich kann schon sehen, wie Leines vor Lachen von seiner Sonnenliege fällt. Schnell noch für einen perfekten Bildausschnitt sorgen. Ich taste mich hinten am Monitor entlang. Wo ist bloà diese verfickte Webcam? Jetzt bloà nicht verräterisch mit den Kabeln rascheln. Vorsichtig biege ich das kugelige Kameragehäuse nach vorn. Noch ein bisschen, noch ein bisschen, stopp! So, jetzt müsste die Cam genau auf die unterste Schublade zeigen, dahin, wo sich unter anderem mein Niveau befindet. Keine Sekunde zu spät, das Küken kommt gerade angerauscht.
Mit verschränkten Armen mustert sie den Rollschrank neben dem Schreibtisch.
»Echt jetzt?«
Nun ist es Zeit für eine Antwort in Hollywood-Qualität, der nächste Satz muss hundert Pro überzeugend klingen.
»Jau, alle kaputt.« Kurze Kunstpause einlegen, beiläufig auf den Firmenparkplatz schauen â und raus mit der schlechten Nachricht. »Bis auf die unterste Schublade.«
Da! Ihre Augenbrauen ziehen sich zusammen und türmen eine Mini-Falte direkt über ihrer Nase auf. Hat sie den Braten gerochen? Hat sie unseren kleinen Plan durchschaut? Muss ich den Hintern-Check womöglich abblasen? Da wird Leines aber ganz schön enttäuscht sein. Nein, Schwein gehabt. Ihre Stirn entspannt sich wieder. Wahrscheinlich hat sie zuerst gedacht: »Ein Gentleman hätte seine Schublade oben angeboten«, den Gedanken aber beiseitegeschoben, um gute Stimmung zu machen. Jedenfalls knipst sie ihre Lampen an. »Na denn, Herr Schröder ...« Ihre hellblauen Augen leuchten. »Ach ja: Und die Frau Thorborg lassen wir mal, okay?«
Dann muss ich wohl kontern.»
... und hier sagt jeder nur Schröder, einfach so, ohne Herr.« Eigentlich eine Frechheit, dass ein junger Hüpfer einem gleich das Du aufzwingt.
»Und Sie, äh, du, äh, also sagt man Harriet?«, haspele ich rum.
Absolut lächerlich, dieser Name. Haben ihre Eltern etwa bei Der Doktor und das liebe Vieh gepoppt oder was? Ach Quatsch, da hieà der Arzt ja mit Nachnamen Herriot. Eigentlich kann ich mich nur noch daran erinnern, dass diese Serie so unfassbar hell war, als ob man das Studio mit einer Supernova ausgeleuchtet hätte.
»Eigentlich sagen alle Harry zu mir.« Wenn sie lächelt, sieht man, dass ihre Oberlippe einen Tick über die Unterlippe hinausragt, wie bei der frühen Nicolette Krebitz. Links und rechts hat sie kleine Grübchen in der Wange. Nett.
Okay, sie hat mit dem Gesäusel angefangen. Ein geselliger Mensch müsste jetzt mit einer lockeren oder gar humoristischen Einlassung kontern. Doch womit genau? Der Dame mitzuteilen, dass man jahrelang sehr gut mit der TeamgröÃe Eins gelebt hat, kommt an dieser Stelle wohl nicht infrage. Und dass man bei Gender-Diversität, Sozialkompetenz und dem anderen Bullshit, von dem die Personalhäschen ständig schwafeln, das kalte Kotzen kriegt, wohl auch nicht.
Trotzdem: Ich muss gute Stimmung machen â bloà was findet so eine lustig? Keine Zeit, um lange nachzudenken, jetzt heiÃt es, so zu tun, als ob man schlagfertig wäre und jeden Tag mit Frauen zu tun hätte. Oder überhaupt mal über einen längeren Zeitraum was mit Frauen zu tun hatte. Also: Harry, Harry, Harry ... genau!
»Ja, dann würde ich mal sagen: Harry, hol den Wagen!«
Stolz garniere ich meinen Riesenbrüller mit einem gönnerhaften Schmunzeln.
Der war doch gut, oder? War er doch?
Wohl eher nicht.
Während sie krampfhaft versucht, ihr Lächeln am Einstürzen zu hindern, türmt sich schon wie der diese Falte auf, und zwar höher als vorher. Sie dreht ihre Handflächen nach auÃen und deutet ein Kopfschütteln an. Ihr ganzer Körper sendet nur noch eine Nachricht aus: Hä? Was ist denn dein Problem?
Vielleicht ist sie so ein analfixierter KlugscheiÃer und stört sich daran, dass ich nicht richtig zitiert habe. Es müsste ja eigentlich heiÃen: »Harry, wir brauchen den Wagen, sofort«, den anderen Satz hat Tappert ja nie gesagt. Das ist wie mit »Beam mich rauf, Scotty« â kam so auch nie in Raumschiff Enterprise vor.
Nein, das ungenaue Zitat scheint sie nicht zu stören.
Natürlich! Supi Schröder, das haste ja wieder toll hingekriegt. Die ist viel zu jung, um den Witz zu verstehen! Mensch, als in den Neunzigern der letzte Derrick lief, war die ja gerade mal aus der Grundschule raus, da hatte sie am Freitagabend was anderes zu tun, als vor der Kiste zu hocken. Und weil sie das Zitat nicht kennt, denkt sie natürlich, »hol den Wagen« sei eine chefmäÃige Arbeitsanweisung von mir oder so. Das muss sofort zurückgeholt werden. Zu spät.
Sie hat schon »Ãh, genau« gemurmelt und sich zu ihrer Umzugskiste umgedreht.
WeiÃt du, es gab da früher so eine Krimiserie im Fernsehen ... auch egal. Erklär ich später mal.
Jetzt sind andere Dinge wichtig. Zum Beispiel unser Hintern-Check, der sich gerade an schickt, in seine heiÃe Phase zu treten!
Die Kleine hat sich ihren Arm mit Ladekabeln vollgepackt und steuert auf den Schubladenschrank zu. Ich mache einen Schritt zur Seite, damit die Webcam freie Sicht auf den Schreibtisch hat. Action!